The world is a disc

Wenn Spiderman, Darth Vader und Donald Trump im Publikum sitzen, das Bier in Krügen kommt und der Lärmpegel Drucklufthammer-Niveau erreicht, dann sind die besten Dartsspieler der Welt wieder auf der Suche nach ihrem Meister und die Fans mittendrin in der verrücktesten Sportparty auf diesem Planeten. Und die steigt derzeit wieder im Alexandra Palace in London.

There's only ooone Phil Taylor. Ooooooone Phil Taylor. Walking along, singing this song: Walking in a Taylor wonderland.“ Der Armin Zöggeler des Dartsports hat sich noch gar nicht blicken lassen. Nicht in der Halle. Und erst recht nicht auf der Bühne. Dort duellieren sich gerade der Engländer Stephen Bunting und der Belgier Dimitri van den Bergh um den Einzug in die zweite Runde. Ein großartiges Match. Auf höchstem Niveau. Aber das interessiert fast niemanden. Die Fans – ob als Banane verkleidet oder eben als Mr. President – warten heute nur auf einen: Auf Phil „The Power“ Taylor. Den Großmeister. Die Legende. Den Rekord-Weltmeister. Und sie feiern ihn. Schon jetzt. Keiner sitzt auf seinem Stuhl. Alle stehen. Und grölen mit: „There’s only ooone Phil Taylor. Ooooooone Phil Taylor.“ – „Es gibt nur einen Phil Taylor. Einen Phil Taylor.“ Ohne „Chase the Sun“ kein Dart Van den Bergh hat inzwischen den letzten Pfeil gesetzt. In die doppelte 3. Und sich so den entscheidenden dritten Satz gesichert. Damit ist der 23-jährige Juniorenweltmeister eine Runde weiter. Und das auf beeindruckende Art und Weise. Gegner Bunting ist immerhin kein Irgendwer, sondern ein ehemaliger Weltmeister – wenn auch „nur“ bei der konkurrierenden BDO. Ein Average – das ist die durchschnittlich erreichte Punktezahl pro Aufnahme bzw. drei geworfener Pfeile – von 105 für den Belgier spricht Bände. Das ist Weltklasse. Die Fans lassen ihn hochleben. Kurz. Um gleich wieder die Stimmbänder anzukurbeln: „Tö tö tötötööö tö tö tö tö tööö tö tö tö tö tööö oi oi oi“, ertönt es aus tausenden Kehlen. Es ist die Hymne des Dart. Ohne „Chase the Sun“ kein Dart. Keine Pause. Aber es ist keine Pause wie jede andere. Denn danach kommt „The Power“. Endlich! Die Spannung ist zum Greifen. Jeder im Saal weiß, warum. Es könnte das letzte Spiel des großen Phil Taylor sein. Nach dieser WM wird er vom aktiven Sport zurücktreten.

3 Mal in die 20: Das ist beim Darts so wie ein Traumtor im Fußball oder ein Touchdown im Football.

Die Banane neben mir reißt sich plötzlich ein Stück ihrer gelben Schale ab. Raus schaut ein blonder Schopf und ein verschmitztes Gesicht. „Hey, I am Connor from Cheshire!“ Um in einem Atemzug hinzuzufügen: Das ist die Grafschaft bei Manchester, in der auch Taylor wohnt. „Aha, freut mich, my name is Günther, I'm from South Tyrol.“ „South what?“ Der Bursche hat ganz offensichtlich keinen blassen Schimmer, wo das sein könnte. Aber es ist ihm noch offensichtlicher völlig egal. Jetzt zählt nur eins: „The Power“. Spricht’s und zieht sich wieder ganz in seine gelbe Schale zurück. Die einzige Verbindung zur Außenwelt: Ein kleiner Ausschnitt. Gerade groß genug für den Blick auf die Bühne und ausreichend Nachschub aus seinem Bierbecher in Pintformat. Deshalb ist es bei der West Hall geblieben In der Halle wird es noch um einen Tick lauter. Wenn das überhaupt geht. Zeremonienmeister John McDonald kündigt das nächste Match an. Und Phil Taylor steht bereit für seinen Auftritt. Unter den Klängen von „The Power“ schreitet „The Power“ wie ein Zirkuslöwe Richtung Bühne. Dutzende Hände werden ihm entgegengestreckt. Einmal abklatschen mit der Legende. Die Banane neben mir rastet völlig aus. Vermutlich wäre sie jetzt lieber ein Kanarienvogel. Dann würde sie rüber fliegen zu ihrem großen Idol.

Stimmung am Siedepunkt: Bei der Darts-WM geht die Post ab. © AFP / DANIEL LEAL-OLIVAS

Keiner hat den Dartsport in den vergangenen 25 Jahren so geprägt wie der 57-jährige Engländer Phil Taylor. Allein 16 Mal war er Weltmeister. 3 Mal davon hier im altehrwürdigen Alexandra Palace – von den Fans liebevoll nur „Ally Pally“ genannt. Seit 2007 findet die WM der PDC hier statt. Heuer wollte der Veranstalter erstmals in die Great Hall umziehen. Weil in der West Hall längst nicht mehr alle Ticket-Anfragen befriedigt werden können. Es ist beim Vorsatz geblieben. Die besondere Atmosphäre hier in der West Hall hat den Ausschlag gegeben. Ich kann's verstehen.

Taylor hat es endlich auf die Bühne geschafft. Neben ihm 4 Cheerleader im knappen, goldenen Kostüm. Und ein merklich beeindruckter Chris Dobey. Der 27-Jährige könnte Taylors Sohn sein. Das Zeug zu seinem Nachfolger hat er allemal. Dobey ist bereits die Nummer 48 der Welt und gilt als großes Talent. Doch heute hat der junge Mann von der Nordostküste Englands nur Außenseiterchancen. Wenn überhaupt. Die Banane befürchtet das Schlimmste Denkste! Das Spiel beginnt alles andere als nach dem Geschmack der Taylor-Fans und ihres Gladiators. Dobey spielt nicht gut, aber Taylor noch schlechter. Das erste Leg sichert sich der Newcomer. Ist der ganze Hype rund um seine Abschieds-WM doch nicht so spurlos an dem Großmeister vorbei gegangen, wie er dies in den vergangenen Tagen in Hunderten Interviews gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt hat? Die Banane jedenfalls befürchtet das Schlimmste. Jetzt würde sie lieber in einem Milchshaker landen, als ihr Idol verlieren zu sehen. Sie fährt fast aus der Schale.

Aber „The Power“ scheint sich zu fangen. Und als sichtbare Beruhigungspille für seinen mitfiebernden Anhang versenkt er seine drei Sportgeräte in der dreifachen 20. Zum ersten Mal an dem Abend. Die etwas leise gewordene Halle flippt plötzlich wieder völlig aus. Hunderte Schilder werden in die Luft gestreckt. Darauf nur eine Zahl: 180. Es ist eine der magischen Zahlen im Dart. Die höchste Punktezahl, die mit einer Aufnahme erreicht werden kann.

Der erste Satz bleibt eine Nervensache. Taylor ist unzufrieden. Mit sich, seinen Würfen und der ganzen Welt. In den entscheidenden Momenten gelingt es ihm aber immer wieder, das Tempo anzuziehen. Mit 3:2 holt er sich den ersten Satz.

Die Banane hat wieder etwas mehr Gelb im Gesicht. Auf der Bühne hingegen bleibt das Niveau überschaubar. Auch wenn Taylor sein Average mittlerweile auf akzeptable 96 Punkte raufgefahren hat. Dobey steht bei schwachen 84 Zählern. Die Folge liegt auf der Scheibe. Taylor gewinnt auch Satz 2. Und die Banane hat ihn zum Schälen gern. Wenigstens kurz. Dann bekommt sie wieder Sorgenfalten. Denn „The Power“ ist plötzlich wieder in der Defensive und Dobey richtig stark. Der Lohn ist das 1:2 in Sätzen. „Ich will nicht nach Hause“ Der vierte Satz ist dann Spannung pur. Taylor wirkt immer genervter und Dobey will seine Chance nutzen. Kommt es tatsächlich zum Entscheidungssatz? Die Banane wirkt irgendwie schrumplig. An der fehlenden Flüssigkeit kann's nicht liegen. Aber Taylor hat ein Einsehen mit ihr. Genauer war es die Zahl 16. Dobey vergibt 2 Setdarts auf die doppelte 16 und der Altmeister versenkt seinen ersten Matchdart in genau diesem Feld. Noch einmal gut gegangen. „The Power“ wischt sich mit der Hand über die Stirn. Die Abschiedstournee kann weitergehen. Und die Party in der Halle sowieso.

Die Menschen im „Ally Pally“ haben immer noch nicht genug. Und die Banane schon gar nicht. Nicht vom Bier. Nicht vom Darts. Und erst recht nicht vom Singen. „Don't take me home, please don't take me home. I just don't wanna go to work. I wanna stay here and drink all ya beer! Please don't, please don't take me home!“ („Schickt mich nicht nach Hause. Bitte schickt mich nicht nach Hause. Ich will nicht zur Arbeit gehen. Ich will hier bleiben und euer ganzes Bier trinken. Bitte schickt mich nicht nach Hause.“) grölt sie aus ihrer Schale. Aber irgendwann muss es dann doch sein. Für mich wenigstens.

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